*Editorial note: The following open letter has been translated by Janto Schwitters for e-flux and is available in the original German below, via Volksbühne’s website, or with a full list of signatories via PDF here: Offener Brief.pdf (2.2 MB)
Open letter
Berlin, 20th June 2016
To the parties in the Berlin House of Representatives:
Alliance ‘90/The Green Party
CDU Party
The Left Party
Pirate Party
SPD Party
Minister of State for Culture and Media, Prof. Monika Grütters
Dear ladies and gentlemen, dear party leaders, dear Minister of State for Culture and Media!
From the city budget plan of Berlin 2014/2015:
The Volksbühne is an ensemble and repertory theater operating in the tradition of Erwin Piscator and Benno Besson, and synthesizes avant-garde content and form with a tradition of social engagement. The program will add dance and music to their current drama offerings.
With concern we await Volksbühne’s change of director in the coming year.
The Volksbühne on Rosa-Luxemburg-Platz is, with its artistic and technical departments, a production site for artistic challenges. We’re not afraid of the new.
Meeting together with the future theater leadership on April 28th gave us reason to believe that there won’t be new forms and artistic challenges. A conceptual thread of the artistic structural development of our theater was not recognizable in the remarks by Chris Dercon and his program director Marietta Piekenbrock.
Instead, dance, musical theater, media art, digital art, and film—which are already core elements of Volksbühne—are presented to us as novelty. At the same time, the entire staff was told that “spoken theater won’t be the main column of the house” and given platitudes like “the stage language will become more polyglot.” The banality of this pronouncement makes us fear both the selling out of artistic standards that are our rule as well as the anticipated weakening of our drama theater operation’s potency.
Instead of the “radical new beginning” alleged by culture state secretary Renner, the roots of Volksbühne’s special history, which began over 100 years ago in Berlin’s city center with the founding of the Theater of the People’s Stage (Theaters der Volksbühnenbewegung), are being cut. This neutralizes each the locally and historically grown connection to the city, which is so decisive for Volksbühne, as well as the political engagement of artists and the arts and our resulting unmistakable aesthetic.
This change of director is not a friendly takeover. He represents an irreversible turning point and a break from our most recent history in which the Volksbühne could be saved from being reclassified as a dance and festival hall. This change stands for a historical leveling and destruction of our identity. The artistic processing of historical conflicts is pushed aside in favor of global consensus culture with unified patterns of presentation and sale.
What we missed in the explanatory remarks of the coming leadership is everything that makes this theater so special for us: namely, a politically engaged art, a specific theater concept, a repertory and ensemble operation, which is in accordance with the unique capabilities of a theater with more than 200 staff and their own workshop. A potential that allows for planning and working on productions in great freedom.
We fear that with these plans there will be no need for our expertise and capacities. We fear job cuts, even liquidation of entire subsections. As the sub-departments of Volksbühne bear strong pre-existing structures, a weakening of existing potential will weaken Volksbühne itself. Once these possibilities are destroyed, they will, at this theater, be gone forever. A devastating signal affecting the entire German theatrical landscape would follow.
Our criticism is directed toward Berlin culture politics: In the name of supposed internationalization and diversity, these politics work to destroy the originality and self-will for which Volksbühne gained worldwide recognition.
We see the future of Volksbühne threatened! We request that you address our concerns and ensure the theater’s position as described in the budget plan. The reorientation of Volksbühne, to which the directorship of Chris Dercon lays claim, must not come at the price of liquidating our artistic standards and nurtured partnerships that are the norm for Volksbühne staff!
We ask the House of Representatives and the Senate of Berlin to examine the new leadership team of Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in order to address the concerns we have verbalized here.
In the name of the following staff members of Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, in June 2016.
(List of names in PDF)
Offener Brief
Berlin, 20.06.2016
An die Parteien im Abgeordnetenhaus von Berlin
Bündnis 90/Die Grünen – Fraktion
CDU – Fraktion
Die Linke. – Fraktion
Piratenfraktion
SPD – Fraktion
Staatsministerin für Kultur und Medien, Frau Prof. Monika Grütters
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Fraktionsvorsitzende, sehr geehrte Frau Staatsministerin!
Aus dem Haushaltsplan für Berlin 2014/15:
Die Volksbühne ist ein im Ensemble- und Repertoirebetrieb arbeitendes Theater und versucht in der Tradition von Erwin Piscator und Benno Besson eine Synthese von Inhalten und Mitteln der Avantgarde mit der Tradition eines sozial engagierten Theaters. Das Schauspielangebot der Volksbühne wird um Tanz- und Musikangebote erweitert.
Mit Sorge sehen wir dem Intendantenwechsel an der Volksbühne im kommenden Jahr entgegen.
Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist mit ihren künstlerischen und technischen Abteilungen eine Produktionsstätte für künstlerische Herausforderungen. Uns schreckt nicht das Neue.
Die am 28. April mit der zukünftigen Theaterleitung abgehaltene Vollversammlung lässt darauf schließen, dass es an der Volksbühne jedoch keine neuen Formen und künstlerischen Herausforderungen geben wird. Eine konzeptionelle Linie der künstlerisch-strukturellen Weiterentwicklung unseres Theaters ist in den Ausführungen Chris Dercons und seiner Programmdirektorin Marietta Piekenbrock nicht zu erkennen.
Vielmehr werden uns Tanz, Musiktheater, Medienkunst, digitale Kunst und Film, die ohnehin fester Spielplanbestandteil an der Volksbühne sind, als Novität vorgesetzt. Im selben Atemzug wird der versammelten Belegschaft verkündet, dass „das Sprechtheater nicht die dominante Säule dieses Hauses sein wird“ und es werden Gemeinplätze wie „die Bühnensprache wird polyglotter werden“ bemüht. In der Banalität der Verkündung fürchten wir den Ausverkauf der für uns geltenden künstlerischen Maßstäbe und die zu erwartende Schwächung unseres potenten Schauspieltheaterbetriebs.
Mit dem von Kulturstaatssekretär Renner behaupteten „radikalen Neuanfang“ werden stattdessen die Wurzeln der besonderen Geschichte der Volksbühne gekappt, die vor über 100 Jahren in der Mitte Berlins mit der Gründung des Theaters der Volksbühnenbewegung begann. Die für dieses Haus entscheidende lokale und historisch gewachsene Bindung an die Stadt, die politische Ausrichtung der Künstler und der Künste, die daraus entstandene unverwechselbare Ästhetik, werden neutralisiert.
Dieser Intendantenwechsel ist keine freundliche Übernahme. Er ist eine irreversible Zäsur und ein Bruch in der jüngeren Theatergeschichte, während der die Volksbühne vor der Umwidmung in ein Tanz- und Festspielhaus bewahrt werden konnte. Dieser Wechsel steht für historische Nivellierung und Schleifung von Identität. Die künstlerische Verarbeitung gesellschaftlicher Konflikte wird zugunsten einer global verbreiteten Konsenskultur mit einheitlichen Darstellungs- und Verkaufsmustern verdrängt.
Wir vermissen in den konzeptionellen Ausführungen der kommenden Leitung all das, was dieses Theater für uns und mit uns so unverwechselbar macht: eine politisch eingreifende Kunst, ein spezifisches Theaterkonzept, einen Repertoire- und Ensemblebetrieb, der dem einzigartigen Potential des Hauses mit über 200 Festangestellten und eigenen Werkstätten entspricht. Einem Potential, mit dem in großen Freiräumen Inszenierungen geplant und erarbeitet werden können.
Wir befürchten, dass angesichts dieser Pläne unsere Kompetenzen und Kapazitäten nicht gebraucht werden. Wir befürchten einen Stellenabbau, bis hin zur Abwicklung ganzer Gewerke. Die Gewerke der Volksbühne sind in ihren Strukturen stark; eine Schwächung des vorhandenen Potentials wird zu einer Schwächung der Volksbühne führen. Sind diese Möglichkeiten einmal zerstört, werden sie an diesem Ort dauerhaft verloren sein. Eine verheerende Signalwirkung für die gesamte deutsche Stadttheaterlandschaft wäre die Folge.
Unsere Kritik richtet sich an die Berliner Kulturpolitik: Im Namen einer vermeintlichen Internationalisierung und Vielfalt arbeitet sie intensiv an der Zerstörung von Originalität und Eigensinn, mit der die Volksbühne weltweit Anerkennung findet.
Wir sehen die Zukunft der Volksbühne bedroht! Wir fordern Sie auf, sich dieser Sorge anzunehmen und die im Haushaltsplan beschriebene Funktion des Theaters zu gewährleisten. Die Neuausrichtung der Volksbühne, die Chris Dercons Intendanz für sich in Anspruch nimmt, darf nicht um den Preis der Abwicklung künstlerischer Standards und gewachsener Kooperationen – und damit der Arbeitsgrundlage der hier Beschäftigten, vorgenommen werden!
Wir bitten das Abgeordnetenhaus und den Senat von Berlin, das Konzept des neuen Leitungsteams der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz hinsichtlich der von uns formulierten Sorge zu überprüfen.
Im Namen folgender Mitarbeiter der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, im Juni 2016
Siehe PDF für die Liste alle Namen
*Image of Volksbühne via e-architect.com